Gedanken für den Tag Zeugnis für die Menschlichkeit

Sa, 03.05.  |  6:57-7:00  |  Ö1
Heide Gsell, Historikerin, über Jehovas Zeugen im Nationalsozialismus

Für mich ist die Enthüllung der Gedenktafel für Jehovas Zeugen im August 1998 in der Gedenkstätte Mauthausen ein ganz besonderer Tag gewesen. Es waren nicht nur viele Zeitzeugen sämtlicher Opfergruppen anwesend, sondern auch hunderte gläubige Zeugen Jehovas aus ganz Österreich. Es ist für mich sehr emotional gewesen, wie ein Kärntner Chor das Lied „Fest und entschlossen“ gesungen hat. Dieses wurde vom Zeugen Jehovas Erich Frost 1942 im KZ Sachsenhausen komponiert. Er wollte damit seine Mithäftlinge aufmuntern, denn „die Schikanen im Lager waren unerträglich“.Mauthausen ist auch für hunderte Zeugen Jehovas das Schlimmste aller Lager gewesen. Dort versuchte man mit allen erdenklichen Grausamkeiten den Widerstand der Häftlinge mit dem Lila Winkel zu brechen. Sie haben sich geweigert, den Hitlergruß zu leisten, dem NS-Staat die Treue zu schwören oder sich an der Kriegsmaschinerie zu beteiligen. Ihre Ablehnung geschah nicht aus politischer Opposition, sondern aus tiefster religiöser Überzeugung. Sie fühlten sich einzig ihrem Gott Jehova verpflichtet und bekannten sich zu Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe.Doch was bedeutet ihr Widerstand für mich heute? In einer Welt, in der Anpassung oft als Schlüssel zum Erfolg gilt, zeigen mir die Zeugen Jehovas, dass es Momente gibt, in denen moralische Standhaftigkeit wichtiger ist als persönliche Sicherheit. Ihr Zeugnis für die Menschlichkeit lebt weiter, in Gedenkprojekten, in Gedenkstätten und in den Erzählungen von Nachkommen, die ihre Werte weitertragen. Vor allem aber lebt es in der Erkenntnis, dass echter Widerstand nicht immer spektakulär sein muss. Manchmal besteht er darin, einfach nicht mitzumachen – und auch das kann die Welt verändern. Der Bibeltext aus Philipper 4,13 auf der Gedenktafel in Mauthausen soll auch mich stets daran erinnern, was das Geheimnis dieser Standhaftigkeit ist: „Für alles bin ich stark, durch den, der mir Kraft verleiht.“

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